Susan Boutwell Gallery, München – Sydney 2020

CHARLOTTE ACKLIN

Zwischen den Polen – im Aufbruch

11.09.2020 – 24.10.2020, OPEN art 2020

 

Susan Boutwell Gallery, Theresienstr. 48, 80333 München

Mi – Fr 12 – 18 Uhr, Sa 12 – 15 Uhr und nach Vereinbarung

T 0152 56004062 | contact@susanboutwell.com | www.susanboutwell.com

 


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Das Allgemeine im Besonderen

zur Malerei von Charlotte Acklin

von Prof. Bettina Blumenberg

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Jenseits der Dingwelt

Die Formate sind die gleichen geblieben, auf ihnen ereignet sich, subtil und vorsichtig, etwas Neues. Wieder gilt, schauen Sie nicht zu schnell, bevor Sie etwas gesehen haben, gesehen haben Sie erst, wenn Sie etwas erkannt haben. Nehmen Sie dies nicht zu schulmeisterlich, denn tatsächlich ist es ein uralter Lehrsatz, dass Kunst ein Medium der Erkenntnis sei, auch Beuys führte diesen Satz häufig auf den Lippen, wodurch die Behauptung neue Aktualität gewann, was sie nicht weniger schulmeisterlich macht. Ich aber möchte diesen Satz als eine Aufforderung zum Glück verstanden wissen, der beglückenden Erfahrung nämlich, dass Kunst etwas zur Anschauung bringt, was das Alltagsleben einem so nicht bietet und nicht bieten kann. Es geht um nichts Geringeres als Welterkenntnis. Evident ist, dass die Mittel der Malerin dabei andere sind als die der Betrachtenden. Die Malerin hat sich in eine unauflösbare Ambivalenz begeben, das letztlich unabschließbare Ringen um die Malerei selbst, das Ausloten der malerischen Möglichkeiten jenseits der Repräsentation, jenseits der Welt der Dinge, abgesehen vom verwendeten Material wie Farbe, Pigment, Pinsel und anderer Werkzeuge. In Frage steht, und Fragen ist die vornehmste Aufgabe des Künstlers, wie die Welt in ihrer Wesentlichkeit zu erkennen sei. Die Dynamik des Vorgangs ist ein unaufhörliches Reagieren auf Impulse von außen wie auch aus dem Inneren des Bildes. Erschütterung, und dafür bietet unsere Zeit ausreichend Anlässe, äußert sich in einem plötzlichen Vibrieren der Hand, das gesamte Malwerkzeug, das gerade noch auf Ruhe ausgerichtet war, gerät für einen Augenblick in eine so nicht gewollte Bewegung und bleibt auf der Leinwand als Momentum der Verstörung sichtbar.

Gerade hatte sich die Palette der Künstlerin aufgehellt, ins Auge springt ein strahlendes Türkis mit vielen gelben Einschüben, eine Helligkeit, mit der die Illusion von Spiegelung auf einer klaren Wasserfläche evoziert wird, als solle ihre Kunst eine neue Heiterkeit signalisieren, einen Gegenentwurf zur dunklen Farbgebung ihrer früheren Arbeiten. Doch diese Helligkeit wird von den Weltbedingungen und der Wirklichkeit, in der wir leben, nicht bestätigt. Die momentane Düsternis der Welt widerstreitet mit den heiteren Impulsen aus dem Inneren, als wolle sich die Künstlerin gegen den Einbruch von Negativität und Bedrohlichkeit stemmen. Auf der Leinwand zeigt sich dieser Widerstreit als Irritation, im vorsichtigen Aufbrechen sichtbar angelegter Strukturen. Die Feinnervigkeit der Malerin erweist sich hier und ist ablesbar in jeder weiteren ihrer neuesten Arbeiten: sie setzt sich der unauflöslichen Ambivalenz aus, die Mittel der Malerei in Frage zu stellen und sich gleichzeitig ihnen nicht zu entziehen.

 

Das Vermögen der Metapher

Man darf hier von einer gedanklichen Schachtelung sprechen, sofern Schachtelung in der Zweidimensionalität vorstellbar ist. Aber Metaphern bieten Spielräume, eröffnen Bedeutungshorizonte, machen möglich, was so zuvor nicht denkbar war. Bei dieser Malerei ist das Sprachbild zwar eigenwillig, aber ergiebig, denn erst im sehenden Erkenntnisprozess zeigt sich seine Brauchbarkeit. Der Betrachterin wird eine Szene in Gestalt einer gemalten Oberfläche vor Augen geführt, die eine weitere Szenerie enthält: die Evokation einer Meeresoberfläche oder eines türkisfarbenen Sees; die bildliche Vorstellung vom Ausschauhalten nach dem in tiefer Dunkelheit liegenden Horizont oder die eines Blicks in die Tiefen eines Waldes, unter der sich eine Auseinandersetzung mit Farbe, Fläche, Raum und Tiefe verbirgt. Genau hier ereignet sich die Schachtelung, wird zum produktiven Prinzip, indem sie zutage fördert, was erst sichtbar werden muss, wie eine Puppe in der Puppe. Es ist eine stetige Verdichtung, die hier jedoch nicht an ihr Ende kommt, eine Verdichtung wie ein Gedicht, das eine potenziell unabschließbare Bedeutung hat. Je mehr sich diese Malerei aus ihrer Anlage in Streifen, vertikal oder horizontal ausgebildet, löst und eine über die ganze Bildfläche sich ausbreitende Dynamik, etwas an manchen Stellen Vibrierendes, die Ordnung Durchkreuzendes zulässt, desto mehr wird das Prinzip der Schachtelung evident. Es entsteht ein Echoraum, in den man genau hineinlauschen muss: er resultiert aus dem Klang der Farben. Und es zeigen sich zum ersten Mal Störungen im Bild, zugelassen als Erprobung eines neuen Weges. Als sei es plötzlich, ungeplant und unvorhergesehen, erscheint ein Moment der Unruhe auf der Oberfläche, man spürt die vibrierende Geste der Hand, die eindeutig nicht rational gesteuert ist, sondern sich im Malprozess ereignet hat.

Paul Klee hat 1925 in seinem Pädagogischen Skizzenbuch einen Gedanken zum Thema “Kunst im Verhältnis zur Schöpfung” niedergeschrieben, und auch er spricht in Metaphern: sie, die Kunst, verhalte sich gleichnisartig, sagt er und spricht von „bildnerischer Polyphonie“ als Gestaltungsprinzip; er meint damit “die Freimachung der Elemente, die Herstellung der Ruhe durch Bewegungsausgleich, hinter der Vieldeutigkeit steht ein letztes Geheimnis, und das Licht des Intellekts erlischt kläglich.” Genau dieser Augenblick ist es, in dem sich der Störfaktor ereignet. Den Betrachtenden aber offenbart sich, dass gerade diese Störfaktoren es sind, die das Bild in eine andere Dimension führen, die neue Gedanken evozieren und die angesichts des Zustands der Welt plausibel sind: nichts ist glatt, vieles gerät aus den Fugen, vieles bereitet Schmerz, löst Ängste aus, Ereignisse werden zur Bedrohung, die zuvor als freiheitliche Grundrechte oder sogar als Bereicherung angesehen wurden, altgewohnte Ordnungen geraten ins Wanken oder verlieren ihre Notwendigkeit, vielleicht sogar ihren Sinn. In der Künstlerin verdichten sich diese Empfindungen und Erkenntnisse zu einer neuen Äußerungs-form, sie spürt, dass sich die Einfachheit eines ordnenden Prinzips nicht mehr aufrechterhalten lässt. Das Verstörende ist in der Welt. Hier erweist sich erneut die Feinnervigkeit dieser Malerei, der alles Aggressive, Jähe, Revoltierende fernliegt, bei der vielmehr jede Geste einerseits genaue Setzung ist, andererseits ein ständiges Reagieren auf die entstandenen Strukturen, die durch die willkürlichen Störungen, die sich aus dem Inneren der Schaffenden wie auch aus dem Inneren des Werkes, aus tieferen und unerforschten Schichten ihren Weg nach oben bahnen, der Malerei eine neue Dringlichkeit verleihen.

Die Autorin lehrt Literatur- und Kunsttheorie an der Akademie der Bildenden Künste München.

© Bettina Blumenberg